
WAO Pocket Guide
Leitfaden Molekulare Allergiediagnostik
Basierend auf dem 2013 WAO-ARIA-GA2LEN Konsensdokument über Molekulare Allergiediagnostik.
Übersetzt und adaptiert durch:
Stefan Wöhrl, Rudolf Valenta, Werner Aberer, Zsolt Szepfalusi & Heimo Breiteneder
Vorsitzende:
Canonica G.W., Ansotegui I.J., Pawankar R.
Mitglieder der WAO-Arbeitsgruppe:
Schmid-Grendelmeier P., Van Hage M., Baena-Cagnani C.E., Melioli G., Nunes C., Passalacqua G., Rosenwasser L., Sampson H., Sastre J., Bousquet J., Zuberbier T., Allen K., Asero R., Bohle B., Cox L., de Blay F., Ebisawa M., Gomez R.M., Gonzalez Dias S., Haahtela T., Holgate S., Jakob T., Larche M., Matricardi P.M., Oppenheimer J., Poulsen L., Renz H., Rosario N., Rothenberg M., Sanchez-Borges M., Scala E., Valenta R.
Der Zweck dieses Ratgebers
Das Konsensdokument zur molekularen Allergiediagnostik wurde von einer Arbeitsgruppe der WAO (Weltallergieorganisation), ARIA (Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma) und GA2LEN (Global Allergy and Asthma European Network) erstellt. Der Hauptzweck dieses Ratgebers ist eine kurze Zusammenfassung des Konsensdokumentes zu geben, welches für Ärzte weltweit frei zugänglich ist.
Die molekulare Allergiediagnostik (MA) ist eine Methode, um die Allergensensibilisierung eines Patienten auf molekularer Ebene zu bestimmen. Dabei werden gereinigte natürliche oder rekombinante Allergenmoleküle (Allergenkomponenten) anstatt wie bisher Allergenextrakte verwendet. Seit der Einführung hat die molekulare Allergiediagnostik zunehmend in den klinischen Alltag Einzug gehalten. Aktuell sind mehr als 130 Allergenmoleküle für die In-vitro-Bestimmung der spezifischen IgE-Antikörper (sIgE) verfügbar.

Einführung
Die molekulare Allergiediagnostik (MA) gewinnt im klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung. Momentan sind mehr als 130 Allergenmoleküle für die In-vitro-Bestimmung der spezifischen IgE-Antikörper (sIgE) kommerziell erhältlich.
Die molekulare Allergiediagnostik erscheint anfangs vielleicht kompliziert. Mit zunehmender Erfahrung sind die damit gewonnenen Resultate jedoch generell einfach und bieten relevante Informationen für allergologisch tätige Ärzte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Nahrungsmittelallergien und für die Auswahl einer spezifischen Immuntherapie.
Dennoch sollten alle sIgE-Tests einschließlich der molekularen Allergiediagnostik im Rahmen der klinischen Vorgeschichte des Patienten ausgewertet werden, da eine Allergensensibilisierung nicht zwangsläufig mit klinischen Symptomen assoziiert ist.
Es liegt in der Eigenverantwortung klinisch tätiger Ärzte und Immunologen, welche speziell in Allergologie ausgebildet sind, sich bei den neuen und sich rasch weiterentwickelnden Erkenntnissen auf dem Gebiet der molekularen Allergiediagnostik auf dem Laufenden zu halten.
Die molekulare Allergiediagnostik spielt eine wichtige Rolle in drei Kernaspekten der Allergiediagnose:
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Unterscheidung einer echten Sensibilisierung gegenüber einer Kreuzsensibilisierung bei polysensibilisierten Patienten, um dadurch das Wissen über krankheitsauslösende Allergene zu verbessern; |
In ausgewählten Fällen ist es möglich,das Risiko für schwere Reaktionen vom Risiko für leichte lokale Reaktionen bei Nahrungsmittelallergie abzugrenzen, um dadurch Ängste des Patienten und die Notwendigkeit für Provokationstestungen zu minimieren; |
Bestimmung von krankheitsauslösenden Allergenen und Auswahl von geeigneten Patienten für eine spezifische Immuntherapie (SIT); |
Erhöhte Genauigkeit und Abklärung von Kreuzreaktivität
Eine der wichtigsten Auswirkungen der molekularen Allergiediagnostik ist die Möglichkeit, zwischen einer echten Sensibilisierung und einer Kreuzsensibilisierung zu unterscheiden.
Diese Information zeigt allergologisch tätigen Ärzten, ob eine einzige, oder einige nah verwandte, oder aber gar mehrere sehr verschiedene Allergenquellen beachtet werden müssen.
Abschätzen des Risikos und des Reaktionstyps
Durch die Fähigkeit, die Risikoeinschätzung speziell bei Nahrungsmittelallergien zu verbessern, hat sich die molekulare Allergiediagnostik in der Routine etabliert.
Verschiedene Nahrungsmittel enthalten spezifische Allergenmoleküle, welche stabil oder labil bei Hitze und Verdauung sind. Die Stabilität eines Moleküls und die Anamnese des Patienten helfen dem Arzt, das Risiko von systemischen versus lokalen Reaktionen abzuschätzen. Labile Allergene sind assoziiert mit lokalen Reaktionen (typisch sind orale Symptome in Form des lokalen Allergiesysndroms OAS) und gekochte Nahrungsmittel werden oft toleriert, während stabile Allergene zusätzlich zu den lokalen Reaktionen die Tendenz aufweisen, mit systemischen Reaktionen assoziiert zu sein.
Die molekulare Allergiediagnostik kann die Notwendigkeit von Provokationstestungen verringern und die Empfehlungen für Allergenvermeidung verbessern.
Nahrungsmittelallergene mit hohem bzw. geringem Risiko eine Anaphylaxie auszulösen. |
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Allergenquelle | Hohes Risiko | Geringes Risiko |
Erdnuss | Ara h 1, 2, 3, 9* | Ara h 8, Ara h 5, CCD |
Haselnuss | Cor a 8*, 9, 14 | Cor a 1, Cor a 2, CCD |
Walnuss | Jug r 1, 2**, 3* | Jug r Profilin, CCD |
Soja | Gly m 5, 6, 4* | Gly m 3, CCD |
Steinobst | Pru p 3*, Mal d 3* | Pru p 1, Mal d 1, Pru p 4, Mal d 4, CCD |
Weizen*** | Tri a 14*, Tri a 19**** | Tri a 12, CCD |
CCD = Kreuzreaktive Kohlenhydrat-Determinate; * mit lokalen und systemischen Reaktionen in Verbindung gebracht. ** Jug r 2 liegt am Allergenchip ImmunoCAP ISAC glykosyliert vor. *** Etliche relevante Weizenallergene sind noch nicht in der Routine verfügbar. **** Marker für eine weizenabhängige anstrengungsinduzierte Anaphylaxie.

Spezifische Immuntherapie
Die molekulare Allergiediagnostik stellt bei polysensibilisierten Patienten ein nützliches Instrument zur Unterscheidung einer echten Sensibilisierung von Kreuzreaktionen dar, falls es anhand von konventionellen diagnostischen Tests und der gründlichen Erfassung der klinischen Vorgeschichte nicht eindeutig möglich ist, das bzw. die relevanten Allergene für die spezifische Immuntherapie (SIT) zu identifizieren.
Da die SIT eine aufwändige und für den Patienten belastende Behandlung ist, welche in der Regel über einen längeren Zeitraum (3 bis 5 Jahre) angewendet wird, ist die korrekte Diagnose, die Auswahl geeigneter Patienten und die Identifizierung von Primärsensibilisierungen auf spezifische Allergene wichtig für das optimale und kosteneffiziente Patientenmanagement.
Insektengiftallergie |
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Allergenquelle | Indikation zur SIT (bei Anamnese einer Systemreaktion) |
Bienengift | Api m 1 (ein negatives Ergebnis schließt eine Bienengiftsensibilisierung nicht aus) |
Wespengift | Ves v 1, Ves v 5 |
Häufig kreuzreaktive Proteinfamilien |
Speicherproteine |
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LTPs (Nicht spezifisches Lipid-Transfer-Protein, nsLTP) |
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Tropomyosine |
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Lipocaline |
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Parvalbumine |
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Serumalbumine |
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PR-10 Proteine, Bet V 1-Homologe |
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Polcalcine (Kalizium-Bindende Proteine) |
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Profiline |
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CCDs (Kreuzraktive Kohlenhydrat-Determinanten, Keine Proteine) |
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CCD = Kreuzreaktive Kohlenhydrat-Determinante; LTP = Lipid-Transfer-Protein; OAS = orales Allergiesyndrom; PR-10 = Pathogenesis-related 10 Protein
Singleplex- und Multiplex-Technologien sind für die molekulare Allergiediagnostik erhältlich. Durch die Allergenchip-Technologie des ISAC (Immuno-Solid phase Allergen Chip) können spezifische IgE-Antikörper gegen mehr als hundert allergene Moleküle in einem einzelnen Test bestimmt werden (=Multiplex).
Da sich das Feld der molekularen Allergiediagnostik ständig weiterentwickelt, muss sich die zukünftige Arbeit auf umfangreiche, populationsbezogene Studien fokussieren, welche praktische Anwendungen, Aufklärung und Erweiterung zusätzlicher Allergenmoleküle und die Unterstützung bei dazugehöriger Testinterpretation miteinbeziehen. Mit der rasch wachsenden Beweisgrundlage für die molekulare Allergiediagnostik ist es für allergologisch tätige Ärzte unumgänglich, sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren und weiterzubilden.
Allergenchip-Technologie
Allergenchip-Technologien ermöglichen Ärzten mit kleinen Serummengen einen Überblick über das Sensibilisierungsprofil des Patienten zu erhalten, und kreuzreaktive, unvorhersehbare oder potentielle Hochrisiko-Allergene zu identifizieren.
Zurzeit ist eine Multiplex-Plattform am Markt erhältlich, die ISAC-Plattform (Immuno-Solid phase Allergen Chip). Obwohl ISAC und Singleplex-Plattformen vom biochemischen Standpunkt her keine untereinander austauschbaren Ergebnisse liefern, sind die Resultate im klinischen Alltag dennoch miteinander vergleichbar. Bei geringen sIgE Mengen kann jedoch der ImmunoCAP Einzeltest sensitiver als der ISAC sein, was bei der Interpretation der ISAC-Resultate unter Miteinbeziehung der Patientenvorgeschichte beachtet werden sollte.
Polysensibilisierte Kinder und Erwachsene mit Verdacht auf eine Sensibilisierung gegen kreuzreagierende Allergene sind am besten für die ISAC-Testung geeignet, insbesondere wenn Nahrungsmittel- und Inhalationsallergene eine Rolle spielen könnten.
Patienten profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit von der molekularen Allergiediagnostik
Die molekulare Allergiediagnostik ist ein wesentliches Instrument für die Auswahl der geeigneten Spezifischen Immuntherapie (SIT), die Untersuchung von Kreuzreaktivitäten und die Einschätzung des Schweregrads von Reaktionen im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Allergenen.
Patienten, welche polysensibilisiert sind, unklare Symptome und/oder Sensibilisierungsprofile haben oder welche nicht auf eine Behandlung ansprechen, könnten routinemäßig mittels molekularer Allergiediagnostik, falls vorhanden, untersucht werden.
Monosensibilisierte Patienten mit einer eindeutigen Krankengeschichte und einem klaren Symptomprofil profitieren verglichen mit konventionellen Diagnosetests eventuell nicht von der molekularen Allergiediagnostik.
Evaluierung des ISAC-Testergebnisses |
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Negativ - | Einfach positiv + | Mehfach positiv +++ |
1. Geeigneter Test verwendet? Anmerkung: Wenn ein Patient |
1. Geeigneter Test verwendet? Anmerkung: Monosensibilisierung auf molekularer Komponentenebene |
1. Erklären die positiven Komponenten die Anzeichen und Symptome des Patienten? |
2. Ist der Test falsch Negative Ergebnisse |
2. Stimmen die Ergebnisse mit den Skin-Prick- Test (SPT) oder Extrakt-basierten sIgE Ergebnissen überein? Falls nicht, bekräftigt die Krankengeschichte Testergebnisse von Extrakten oder Komponenten? | |
3. Erklären kreuzreaktive Komponenten zahlreiche positive SPT oder sIgE Ergebnisse? | ||
4. Gibt es unerwartete Resultate? Falls ja, können dadurch die Daten der Patientenanamnese verbessert werden? | ||
5. Können kreuzreaktive Komponenten die komplexen klinischen Symptome erklären (z. B. Pollen-Nahrungsmittel-, Pollen-Pollen-, Milben-Shrimps-, oder Katzen-Schweinefleisch-Syndrom)? | ||
6. Gibt es Marker mit geringem Risiko (z. B. Profilin) oder hohem Risiko (z. B. Speicherproteine)? |
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7. Gibt es einzelne Komponenten oder Kombinationen von Komponenten, welche auf ein erhöhtes Risiko für systemische Reaktionen hinweisen? |
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8. Sind alle, manche oder keine der relevanten Komponenten der vermuteten Allergenquelle am Chip vorhanden? Falls keine oder nur ein paar vorhanden sind: Gibt es kreuz-reaktive Komponenten, welche als repräsentative Marker für das vermu-tete Allergen fungieren können (z.B., Ole e 1 (Olive) ist auch ein Marker für Eschenpollen)? |
Offene Fragen
Die molekulare Allergiediagnostik erhöht bereits jetzt deutlich den klinischen Nutzen der spezifischen IgE-Antikörper-basierenden Allergiediagnostik. Dennoch gibt es weiterhin offene Fragen, die in zukünftigen Forschungsprojekten beantwortet werden müssen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Internationale Richtlinien empfehlen als ersten Schritt eine gründliche Erfassung der klinischen Vorgeschichte und im zweiten Schritt die Allergenextrakt-basierende IgE Tests (In-vitro-spezifisches IgE oder Skin-Prick-Test) durchzuführen.
Bei Patienten, bei denen die ersten beiden Untersuchungen keine eindeutigen Ergebnisse geliefert haben, sollte die molekulare Allergiediagnostik in Betracht gezogen werden. Bei erfahrenen Anwendern kann die molekulare Allergiediagnostik beim zweiten Untersuchungsschritt miteinbezogen werden.
Die molekulare Allergiediagnostik ist eine neue und komplexe Methode, die schon jetzt ein Standardverfahren in der Allergiediagnostik darstellen kann, und deshalb dafür eingesetzt werden sollte. Weiterbildungsprogramme über molekulare Allergiediagnostik für Allergologen sind daher notwendig.
